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Räucherlachs und Matjes werden diskriminiert
Ein Beispiel dafür ist der Räucherlachs. Der Bundesverband Fisch hat bereits im Dezember 2019 in einem Brief an das Bundesministe- rium für Ernährung und Landwirtschaft darauf hingewiesen, dass „diese Erzeugnisgruppe ihre ernährungsphysiologischen Vorteile durch das Nutri-Score-Modell leider nicht nutzen kann, da Ome- ga-3-Fettsäuren grundsätzlich nicht in die Bewertung einfließen und ferner eine aus Gründen der Produktsicherheit notwendige Zugabe von Salz zu einem Punktestand führt, der ergänzend eine Nichtbeachtung des leicht verdaulichen Eiweißes zur Folge hat.“ Weiter weist man darauf hin, dass von dieser Berechnungswei- se auch Seefischerzeugnisse wie Matjes, Matjesfilets nordischer Art, Heringsfilets nach Matjesart und viele Fischdauerkonserven betroffen sind. Die Nichbeachtung von ernährungsphysiologisch wertvollen Omega-3-Fettsäuren in Fischerzeugnissen stellt nach Ansicht vom Bundesverband Fisch eine Diskriminierung dar und widerspricht der Lebensmittelinformations-Verordnung, nach der „zusätzliche Darstellungsformen zu Brenn- und Nährwerten von Lebensmitteln objektiv und nicht diskriminierend sein müssen.“ Die Interessenvertretung der deutschen Fischindustrie und des Fischgroßhandels plädiert deshalb für eine Gleichbehandlung mit Getränken, Käse sowie Fetten und Ölen, für die es eine Ausnahme- regelung gibt. Denn über die allgemeine Formel müssten solche Produkte jeweils eine rot unterlegte E-Wertung bekommen.
Handel dafür, Hersteller mehrheitlich dagegen
FischMagazin hat Handel und Hersteller zu ihrer Einstellung zum Nutri-Score befragt und dabei ein ganz eindeutiges Ergebnis be- kommen. Der Handel steht der Kennzeichnung durchweg positiv gegenüber, hat mehrheitlich schon Produkte mit der Farbampel im Sortiment und plant das Angebot zumindest bei den Eigen- marken sukzessive zu erweitern. Die Fischproduzenten stehen der neuen Nährwertkennzeichnung negativ gegenüber, „da un- sere Hauptprodukte durch den Salz- und Fettgehalt mit einem Nutri-Score gekennzeichnet werden müssen, welcher nicht sehr positiv wirkt und keine positiven Eigenschaften hervorhebt“, wie es ein führender Lachsverarbeiter schrieb. Handel und Herstel- ler befinden sich bei der Bewertung des Nutri-Score auf verschie- denen Seiten – zumindest teilweise, denn TK-Fischproduzenten wie Iglo oder Femeg schneiden mit ihren Produkten besser ab als Räucherfischhersteller und Heringsverarbeiter. Seit Oktober tragen die Fischprodukte von Femeg bereits den Nutri-Score, der bei den häufig naturbelassenen und tiefgekühlten Fischrohwa- ren in der Regel eine empfehlenswerte Bewertung mit A oder B bekommen. Bereits frühzeitig hatte sich Iglo für das System stark gemacht und erhielt dafür aus der eigen Branche Gegenwind bis hin zu Aktionen, das Engagement juristisch zu stoppen. Als Vor- reiter gibt Iglo zum Start des Nutri-Scores nun Vollgas. In den Su- permärkten ist bereits auf rund 100 Produkten, das sind 70 Pro- zent der Iglo-Produkte, der jeweilig ausgewiesene Nutri-Score Wert zu finden. nik
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  Kommentar von André Nikolaus
Gut gedacht ist nicht gleich gut gemacht
Die Nutri-Score genannte Lebensmittelampel ist da. Und zumin- dest bei den Kunden stößt das neue Label auf Zustimmung, denn neun von zehn Verbrauchern in Deutschland finden es laut einer Umfrage gut und sprechen sich dafür aus, die Kennzeichnung
für alle verarbeiteten Lebensmittel und Getränke verpflichtend
zu machen. Auch der Lebensmittelhandel hebt aus Gründen der Transparenz und der Verbraucherinformation den Daumen, womit wir festhalten können, dass die Idee hinter der neuen Nährwert- kennzeichnung auf eine breite Akzeptanz stößt. Zwar müssen die Informationen über Brennwert, Fett, Zucker und Salz schon lange über die Nährwert-Tabelle auf der Rückseite der Verpackung angegeben werden, aber die Interpretation dieser Angaben war bisher den Verbrauchern selbst überlassen. Ein Ampelsystem schafft da schnell Klarheit und bietet den Kunden eine Vereinfa- chung, weil detailreiche Informationen im Moment des Einkaufs überfordern können.
Aber gut gedacht ist nicht immer gleich auch gut gemacht, wie die vielstimmige Kritik von Seiten der Industrie und Verbrau- cherschützer zeigt. Hauptkritikpunkt ist, dass der Nutri-Score lediglich das Nährwertprofil von Lebensmitteln berücksichtigt, nicht aber deren gesundheitliche Eigenschaften. Um zu ermitteln, welchen Buchstaben und welche Farbe ein Lebensmittel erhält, wird dessen Zusammensetzung und Energiegehalt betrachtet. Einige Inhaltsstoffe erhalten negative Punkte, andere positive. Ein Produkt mit gutem Nutri-Score muss also nicht bei jedem einzelnen Inhaltsstoff gut abschneiden, denn schlechte Werte
in einzelnen Bereichen lassen sich durch gute Werte in anderen wieder ausgleichen. Das Problem für die Fischbranche ist, dass zum Beispiel Vitamine und Omega-3-Fettsäuren nicht mit in die Bewertung einfließen, Fett und Salz dagegen schon. Vielen Fisch- produkten wird dadurch die Möglichkeit genommen, eine gute Bewertung zu erreichen.
Aktuell ist der Nutri-Score noch freiwillig. Aber die EU-Kom- mission hat sich vorgenommen, im Jahr 2022 einen Vorschlag
für ein verpflichtendes Modell vorzulegen. Sollte dieses Modell auf der Basis festgeschrieben werden, auf der die Bewertung derzeit erfolgt, bedeutet das eine eklatante Benachteiligung vieler Fischprodukte. Ein Label, das zu gesunder Ernährung hinführen soll, darf Inhaltsstoffe wie Omega-3-Fettsäuren und Vitamine nicht unberücksichtigt lassen. Das ist mehr als ein handwerkli- cher Fehler, denn mit der Nichtbeachtung wertvoller Inhaltsstoffe in den Produkten unserer Branche verdreht der Nutri-Score den eigenen Anspruch ins Gegenteil. Die negative Bewertung führt bei Verbrauchern im Zweifelsfalls zu einem Kauf- und Verzehrverzicht von Fisch und Seafood, deren ernährungsphysiologische Vorteile eindeutig und wissenschaftlich unumstritten sind.
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