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 Jahresgespräche, bieten so also ein transparentes Monitoring. Wird die er- forderliche Punktzahl erreicht, dann besteht eine Übernahmegarantie. Das ist eine Anreizstruktur, die sich bei uns sehr bewährt hat.
Fleischmagazin: Spielen Lohn und Ar- beitszeiten bei den Überlegungen von Azubis, sich für einen fleischhandwerk- liche Karriere zu entscheiden, die aus- schlaggebende Rolle ?
Melzer: Nein, nicht immer. Auch ich als Teamleiter habe einen wesentlichen An- teil daran, nicht nur am Erfolg der ganzen Abteilung. Für mich persönlich bedeutet das: Meine Familie habe ich zuhause, aber meine zweite Familie habe ich im Betrieb. Diese Philosophie versuche ich vorzuleben und an alle Team-Mitglieder weiterzugeben. Ich achte darauf, dass wir im Arbeitsalltag immer vernünftig miteinander umgehen, weil wir auch nur gemeinsam unsere Ziele erreichen können. Gewiss, wir verlangen viel von unseren Auszubildenden und Mitarbei- tern. Dafür gebührt ihnen aber auch un- sere Anerkennung. Ich versuche, jedem im Team dieses nötige Selbstwertgefühl zu geben. Ein Lob ist manchmal mehr wert als 100 Euro mehr Lohn.
Fleischmagazin: Gibt es denn schuli- sche Versäumnisse ? Müssten die Schulen nicht intensiver darauf hinwirken, junge Menschen für fleischhandwerkliche Be- rufe zu motivieren ?
Melzer: Ja, meiner Ansicht nach ge- hen die Schulen heute zu wenig auf die
Schülerinnen und Schüler ein. Es wird viel zu wenig explizit auf handwerkliche Berufe vorbereitet, es wird meiner Mei- nung nach sogar zu wenig auf das prak- tische Leben vorbereitet. Warum wer- den heute so grundlegende Dinge wie zum Beispiel Zinsrechnung teilweise nicht mehr vermittelt ? Ich habe leider erleben müssen, dass Berufsschulen wieder bei mathematischen Basics an- fangen müssen wie Division und Multi- plikation. Das ist eine Entwicklung, die mich sehr nachdenklich stimmt. Aber auch Innungen und Handwerkskam- mern müssen diesen Abwärtsentwick- lungen entgegen steuern. In den Schu- len müssen die Berufe ungeschminkt beworben werden. Hier müssen Nach- teile ehrlich benannt, aber vor allem auch ihre Vorteile klar herausgestellt werden.
Fleischmagazin: Was glauben Sie, wie werden sich Fachkräftemangel und Ausbildungsverhältnisse im Fleisch- handwerk in den kommenden Jahren auswirken ?
Melzer: Einiges an handwerklichen Tätigkeiten lässt sich in unserem Be- ruf heute bereits durch den Einsatz moderner Technologie ersetzen, aber eben noch längst nicht alles. Handar- beit ist weiterhin gefragt und wird es zukünftig auch bleiben. Wenn es uns nicht gelingt, ausreichend Fachkräfte zu bekommen, müssen wir sie in letz- ter Konsequenz aus dem Ausland an- werben, z.B. aus Rumänien. Aber auch das wird zusehends schwieriger, denn auch dort steigen Ansprüche, gleichen
sich Löhne und Lebensverhältnisse in- nerhalb Europas immer mehr einan- der an.
Fleischmagazin: Was müsste Ihrer Mei- nung nach grundsätzlich unternommen werden, um die Berufe im Fleischhand- werk wieder attraktiver zu machen ?
Melzer: Es muss ein grundsätzliches Umdenken stattfinden, was die hand- werklichen und insbesondere die fleischhandwerklichen Berufe betrifft. Wir müssen daran arbeiten, dass sich die Berufsbilder in den Köpfen der Menschen wieder ändern, dass erkannt wird, dass diese Berufe genauso wichtig und nötig sind wie akademische. Nicht alle Tätigkeiten lassen sich im Büro er- ledigen, viele Jobs erfordern eben auch körperliche Arbeit. Wir können nicht alle You-Tuber oder Influencer werden, denn davon steht das Schnitzel immer noch nicht auf dem Tisch.
Fleischmagazin: Was für Folgen könnte das Ausbleiben von Fachkräften für die Branche insgesamt haben ?
Melzer: Es könnte zum Beispiel zur Fol- ge haben, dass manche Produkte aus unseren Supermarktregalen oder aus den Theken verschwinden, wir nicht mehr über unsere heutige Warenvielfalt verfügen, sollten manche handwerkli- chen Tätigkeiten wie der von Metzgern und Fachverkäufern nicht mehr erledigt werden. Spätestens dann wird uns der Fachkräftemangel schmerzlich bewusst werden. Dann könnte es aber zu spät sein. beh
FleischMagazin 11/2021 61
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