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Zukunftsthema Schlafen
 Gewalt. Bei solchen Konflikten kann man natürlich nicht gut schlafen.
Haustex: Was kann man tun, wenn man mit Sorgen ins Bett geht, aber trotzdem gut schlafen möchte ?
Vorster: Wichtig ist, nicht mit Sorgen ins Bett zu gehen. Wir sollten unsere Sorgen eine Stunde vor dem Schlafen auf Papier aufschreiben, wir sollten sie mit unserem Partner besprechen, am besten drau- ßen bei einem Spaziergang. In der letzten Stunde vor dem Schlafengehen sollten wir etwas tun, was explizit Freude macht oder Geborgenheit gibt, etwa ein warmes Bad nehmen oder ein Buch lesen. Im Bett empfehle ich zum Einschlafen darüber nachzudenken, wofür man dankbar ist, was am Tag gut gelaufen ist, was man er- reicht hat oder worauf man stolz ist – also lauter positive Gedanken. Und wenn man da nichts findet, kann man ein schönes Ur- laubserlebnis mit allen Sinnen nachemp- finden: Wie war es im Urlaub ? Wie hat sich die Sonne auf der Haut angefühlt, der Sand unter den Füßen ? Wie hat die Luft gero- chen ? Das bringt uns in ein sicheres und geborgenes Umfeld, in dem wir loslassen und entspannen können.
Haustex: Wir reden derzeit viel über Nies- Etikette oder Hustenhygiene. Warum nicht auch über Schlafhygiene ?
Vorster: Weil das ein ganz schreckliches Wort ist. Mit Schlafregeln sollte man sich erst dann beschäftigen, wenn man Pro- bleme mit dem Schlafen hat. Ansonsten kann solch ein Regelkatalog, der immer individuell angepasst sein sollte, zu einer Obsession werden, beim Schlaf alles rich- tig zu machen. Das führt zwangsläufig zu Anspannung.
Haustex: Jeder dritte Deutsche leidet un- ter Schlafstörungen, darunter auch immer mehr junge Menschen. Welche Ursachen hat das ?
Vorster: Gerade junge Menschen sind es nicht mehr gewohnt, offline zu sein. Wir beschäftigen uns bis zum Schlafengehen mit emotionalen Inhalten, zum Beispiel Social Media. Das Smartphone beglei-
raumausstattung.de
tet uns bis zum Ende des Tages. Entspre- chend kreisen auch die Gedanken um uns und unser Leben, bis wir einschlafen. Diese Entwicklung gibt es erst seit zehn oder fünfzehn Jahren. Davor gab es keine sozialen Medien, die uns wachgehalten haben. Ich glaube persönlich nicht, dass das Handylicht uns wachhält, dafür gibt es auch keine handfesten Beweise. Es ist viel eher die kognitive Beschäftigung mit dem Smartphone, die uns wachhält.
Haustex: Haben die Menschen vor Social Media besser geschlafen ?
Vorster: Die Sensibilität gegenüber Schlaf- störungen ist heute gestiegen. Ich glaube aber, dass wir in den Sechzigerjahren in Deutschland mindestens genau so viele Schlafstörungen hatten. Die Hälfte der Be- völkerung hatte damals traumatisierende Kriegserlebnisse hinter sich...
Haustex: Wie gravierend sind die Probleme heute für die Betroffenen ?
Vorster: Eine Schlafstörung, die vielleicht zwei Wochen andauert, ist mit einem Schnupfen vergleichbar, der auch nach ei- ner Weile wieder weggeht. Bei einer chro- nischen Insomnie, die bis zu zehn Pro- zent der Bevölkerung betrifft, haben wir meist einen bestimmten Auslöser, der uns schlecht schlafen lässt – zum Beispiel eine Krankheit oder eine Trennung. Der Auslö- ser ist irgendwann weg, aber die Schlafstö- rung bleibt aus sich heraus bestehen.
Haustex: Wie äußert sich das ?
Vorster: Die Betroffenen machen sich Sorgen um den Schlaf und können nicht schlafen, weil sie sich Sorgen um den Schlaf machen. Sie müssen erst wieder ler- nen wie es ist, normal zu schlafen.
Haustex: Wir lernt man, wieder richtig zu schlafen ?
Vorster: Wenn ich zu einem Arzt gehe, ist es dessen Aufgabe, zunächst organische Störungen abzuklären. Handelt es sich um eine aus sich selbst heraus bestehen- de Insomnie, sehen die Leitlinien vor, dass zunächst mit einer kognitiven Verhaltens-
therapie therapiert wird, nicht mit Schlaf- mitteln.
Haustex: Sind Schlafstörungen eine Volks- krankheit ?
Vorster: Definitiv ja, und sie betreffen sehr viele Menschen. Zehn Prozent der Bevöl- kerung etwa leiden unter Schlafapnoe, im Alter über 65 sogar über 20 Prozent. Rest- less Legs sind nach der Migräne die häu-
 „Im Schlaf verknüpfen wir neu gelernte Gedächtnisinhalte mit dem vorherigen bestehenden Wissen. Wir werden tatsächlich klüger im Schlaf.“
figste neurologische Erkrankung bei Frau- en. Das ist ganz klar eine Volkskrankheit. Schlafstörungen werden aber leider häufig nur mit Schlafmitteln behandelt.
Haustex: Woran liegt das ?
Vorster: Die Ausbildung bei den Medizi-
nern fehlt. Wir haben zu wenig zugelasse- ne Psychotherapeuten, die über eine Fort- bildung in Schlafstörungen verfügen. Und bisher gibt es Schlafmedizin nicht als Aus- bildungsfach für Mediziner, es gibt erst 
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