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  Das Forum des KIN Lebensmittelinstituts im FleischMagazin
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Serum enthält eine Vielzahl wichtiger Wachstumsfaktoren. Nicht immer ist jedoch auf Grund der spezifischen Si- tuation in den Herkunftsländern ge- währleistet, dass die Blutgewinnung unter ethisch akzeptablen Bedin- gungen erfolgt und der Fetus keinen Schmerz empfindet. Deshalb stellt die Verwendung aus Tierwohl-Sicht keine ideale Lösung dar.
Für den medizinischen Gebrauch wur- de in den letzten Jahrzehnten bereits versucht, einzelne Serumbestandteile wie Hormone oder Wachstumsfakto- ren, in gereinigter Form oder als rekom- binante Produkte einem definierten Kulturmedium zuzusetzen. Dies führ- te zur Entwicklung von serumfreien, chemisch definierten Medien, die aber noch einiger Optimierung bedürfen.
Ein weiterer Grund für die Suche nach tierfreien Kulturmedien ist die Wirt- schaftlichkeit, denn fötale Seren sind schlicht zu teuer für eine wirtschaft- liche Produktion kultivierter Fleisch- produkte. 80% der Gesamtkosten fal- len derzeit auf die Zellkulturmedien selbst, 20% auf die aufwendige Aufbe- reitung in steriler Umgebung. Selbst optimistische Modellrechnungen des Good Food Institute (GFI) lassen kei- nen wirtschaftlichen Betrieb unter Verwendung heute verfügbarer Medi- en darstellen.
Für eine Massenproduktion muss das Medium erheblich kostengünstiger werden, gleichzeitig geeignet für das effiziente Wachstum und Differenzie- rung spezifischer Zelltypen und vor al- lem frei von fötalem Kälberserum.
De facto ist die Produktion von In- vitro-Fleisch im industriellen Maß- stab heute wirtschaftlich noch nicht darstellbar, was auch nicht verwun- derlich ist, denn die eingesetzten Arbeits-Techniken sind aus der Hu- manmedizin direkt adaptiert. Für ei- ne ausreichende Wirtschaftlichkeit sind zukünftig drei Schlüsselfaktoren zu optimieren: Tierfreie Medien, 3D- Gerüste und die Bioreaktoren. Das Ziel mannigfaltiger Bestrebungen und mit enormen Venture Kapitalsummen ausgestatteter Projekte ist, Myoblas- ten an einem Gerüst in einem serum- freien Medium im Bioreaktor wachsen zu lassen. Als Gerüst wird eine Matrix benötigt, an der sich die Zellen anhef- ten und dennoch gleichzeitig verviel- fältigen bzw. ausdifferenzieren kön- nen. Alle eingesetzten Prozesse und
 Alternativer Ansatz
Muskelreproduktion durch Rekonstruktion komplexer molekularer Eigenschaften
In den vergangenen Jahren wurden neue Multimaterial 3D Druckmethoden entwi- ckelt, die es erlauben, verschiedene Mate- rialien in einem einzigen Prozessschritt zu drucken und zu verbinden.
So wie heute der flexible und stabile Rahmen, die weichen Nasenbügel und
die Gläser einer Sonnenbrille in nur einem Schritt additiv gedruckt werden, besteht auch das Potenzial, komplexe Strukturen des Muskels zu replizieren. Komplexität
zu nutzen statt zu vermeiden ist hier der Denk- und Arbeits-Ansatz. Ziel ist eine Matrix zu drucken die schmeckt und auch aussieht wie das Original vom ganzen Tier. Lage für Lage werden hier programmierte Strukturen addiert, die Möglichkeiten der Variation sind beinahe unbegrenzt.
Ein Steak. Pflanzenbasiert ? Zellkultiviert ? Aus konventioneller Tierhaltung ?
Im Beispiel des Novameat werden pflanz- liches „Blut“, Fette und Eiweiß entspre- chend einer digital entworfenen Struktur gedruckt. Die Herausforderungen liegen
hier im Design der digitalen Strukturmodel- le und der Skalierung/Überführung in Mas- senfertigung. Eventuell ist aber auch ein disruptiver Ansatz erfolgversprechend: der Selbstdruck von individualisierten Rezepten zuhause oder im Restaurant auf dem eige- nen 3D Drucker, z.B. ein Stück selbstge- drucktes „Fleisch mit den Charakteristiken eines Wagyu Rindes“, „Private Selection der Morgan Ranch aus Nebraska“ oder ein cholesterinarmes, marmoriertes Fleisch des längst ausgestorbenen Auerochsen (Bos primigenius), rekonstruiert aus dem ursprünglichen Genmaterial.
Verrückte Zukunftsutopie ? Zumindest verfolgt das Unternehmen Redefine Meat (TelAviv) mit Investitionsunterstützung un- ter anderem der PHW-Gruppe diese Route.
 44 FleischMagazin 7-8/2021
















































































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