Page 24 - BTH_07-08/2020
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           Der steinige Weg zur Nachhaltigkeit
Die Textilindustrie in Deutschland braucht eine faire Energie- und Umweltpolitik – jetzt mehr denn je !
Schon in der letzten Ausgabe, als es an dieser Stelle um den Produktionsstandort Deutschland ging, hat sich der Themenkomplex nachhaltige Produktion und Kreislaufwirtschaft geradezu aufgedrängt – Stichwort „Carbon Leakage“. Selbst für die vielen „willigen“ Akteure in der Heimtextilien-Industrie ist der Wandel zur Kreislaufwirtschaft kein Spazier- gang, sondern eher ein Marathon. Dann kam Co- rona und in dieser nie dagewesenen Ausnahme- situation gefährdet der Ende Mai beschlossene nationale Brennstoffemissionshandel jetzt zusätz- lich die Existenz Tausender mittelständischer Un- ternehmen! Dennoch: Trotz Krise ist der Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft alternativlos. Ohne Unter- stützung aus der Politik werden unsere Unterneh- men den aber nicht schultern können!
Nach den Monaten des Shutdowns bildet das 130 Mrd. EUR schwere Konjunkturpaket der Bundes- regierung von Anfang Juni eine gute Grundlage für die wirtschaftliche Erholung. Vor den meisten Unternehmen in der mittelständischen Textil- industrie liegen aber immer noch enorme An- strengungen – mit ungewissem Ausgang. Über 80 % der Firmen in der Textilbranche haben Kurzarbeit beantragt, manche müssen Umsatz- einbrüche von 80 % und mehr verkraften. Über 40 % der Mitglieder im Kompetenz-Zentrum Textil und Sonnenschutz in Wuppertal zeigten sich stark oder sehr stark besorgt, für viele geht es um die Existenz und den Erhalt der Arbeitsplätze. Und das gilt auch für gesunde und innovative Unter- nehmen, die sich dem Transformationsprozess stellen und den Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft bereits eingeleitet haben.
Transformation nicht zum Nulltarif
Diesen Wandel will auch Heimtex mitgestalten und weiter vorantreiben. Deshalb unterstützen wir die Idee, die jetzt erforderlichen Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft zugleich als Chan- ce zum klimaschonenden Umbau der Wirtschaft zu nutzen – entsprechend den „4 großen T“, die gute Konjunkturpakete ausmachen: Timely, tar- geted, temporary & transformative. Während die Kriterien „Schnell, gezielt und befristet“ unstrittig
Martin Auerbach ist Geschäftsführer im Verband der Deutschen Heimtextilien-Industrie.
erscheinen, bietet der Begriff „transformativ“ schon mehr Diskussionsstoff.
Transformationsprozesse sind selten gratis zu haben und die deutschen Heimtextilienhersteller werden diesen Wandel nur mittragen können, wenn sie die Krise überstehen. Jens Südekum, Ökonom an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Uni- versität, mahnte in seinem Gastbeitrag in der Welt vom 7. Juni 2020: „Neben aller Transformation braucht Deutschland aber auch ein klassisches Konjunkturprogramm. Momentan herrscht wegen Corona allenthalben Verunsicherung. Beschäftigte bangen um ihren Arbeitsplatz und sparen. Unter- nehmen blicken pessimistisch in die Zukunft, mussten sich vielleicht mit Liquiditätskrediten versorgen und halten deshalb ihr Geld beisam- men. Die Lösung: zeitlich befristete Anreize.“
Schnelle und unbürokratische Hilfen sind jetzt entscheidend und es ist fraglich, ob die Maß- nahmen des Konjunkturpakets ausreichen. Beispiel Mehrwertsteuersenkung: Solange das Unsicherheitsgefühl durch Corona besteht, wer- den die Menschen nicht in Kauflaune kommen und der „Wumms“-Effekt könnte ausbleiben. So bewertetet das auch der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, am 8. Juni im Handelsblatt: „Der Konsumeffekt der Mehrwert-
steuersenkung wird durch die Kaufzurückhaltung der Konsumenten beschränkt.“ Ferner bleibt ab- zuwarten, ob sich die Eckpreislagen nicht nach kurzer Zeit wieder einstellen.
Energiepolitik bedroht Wettbewerbsfähigkeit
Was dem Konsumpaket außerdem fehlt, ist ein Mo- ratorium für Gesetzesvorhaben, die den Re-Start der Unternehmen lähmen. Doch genau das braucht die Industrie jetzt dringend! Stattdessen bedrohen ener- giepolitische Beschlüsse der Regierung die Wettbe- werbsfähigkeit der deutschen Textilproduzenten auf dem internationalen Markt zusätzlich. Während die Unternehmen ums Überleben ringen, arbei- tete die Bundesregierung an Verschärfungen des Umweltrechts und hat am 20. Mai die Änderung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) beschlossen: Ab Januar 2021 erhöht sich der Ein- stiegspreis pro Tonne CO2 von ursprünglich 10 auf 25 EUR und wird bis zum Jahr 2025 schrittweise auf einen Festpreis von 55 EUR steigen. Danach sollen Versteigerungen den Zertifikatepreis bestimmen, der vorgesehene Preiskorridor liegt zwischen 55 und 65 EUR pro Tonne CO2.
Es steht außer Frage, dass die Inverkehrbringer von Brennstoffen den steigenden CO2-Preis durch Aufschläge in der Lieferkette an die Abnehmer wei- terreichen werden. In der Textilindustrie betrifft das z.B. die Textilausrüstung und -veredelung sowie die Vliesstoffproduktion. Letztere beliefert derzeit auch die Hersteller medizinischer Schutzmasken.
Klimafreundliche Alternativen zur Erzeugung von Prozesswärme im Hochtemperaturbereich und in CO2-intensiven Prozessen der Industrie stehen aber bislang weder in ausreichender Menge noch zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung. Dies gilt auch für Wasserstoff, der weder kurz- noch mittel- fristig eine wesentliche Rolle als grüner Ener- gielieferant für mittelständische Unternehmen spielen wird. Daran wird auch die im Juni verab- schiedete Nationale Wasserstoffstrategie der Re- gierung nichts ändern können. Ohne vorhandene Alternativen kann eine CO2-Bepreisung aber keine
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