Page 123 - BTH_07-08/2020
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 Schlussbemerkung
  Kein Blick
in die Zukunft
Was ist das für ein Ort, an dem ich Fahrräder und Fertiggardinen kau­ fen kann, Socken und Sicherheitsnadeln, Bücher und Badematten, Klo­ bürsten und Kindermode, Motoröl und Marzipan? Ich – Baujahr 1966 – antworte auf diese Frage: „Das ist ein Kaufhaus!“ Wer in den 1990ern oder später geboren wurde, wird wahrscheinlich sagen: das Internet, Amazon, Ebay. Und damit ist auch klar, dass Karstadt und Kaufhof, die mittlerweile ein Unternehmen sind, ihre Zukunft schon hinter sich haben, ganz egal, wie sie jetzt durch und aus ihrer Insolvenz in Eigenverwaltung kommen werden.
Hier in Hamburgs großer Einkaufsmeile, der Mönckebergstraße, bilden Galeria Kaufhof links und Karstadt Sports rechts praktisch das Eingangs­ tor. Beiden droht das Aus. Wer die riesigen Gebäude dann beziehen soll, welches Geschäftsmodell hier im Jahr 2020 und in Zukunft funktionieren könnte – man weiß es nicht. Was die Schließung für die Innenstadt be­ deutet, ist noch nicht abzusehen. Sie verliert in jedem Fall an Attraktivität.
In der Mönckebergstraße gibt es – noch – jede Menge anderer Geschäfte und Passagen. In den Randlagen und kleineren Städten sieht das ganz anders aus. Welche negative Entwicklung da angestoßen werden könnte, haben wir schon gesehen, als etwa Hertie erst einzelne Standorte und dann schließlich ganz schließen musste. Von den unzähligen inhaber­ geführten Kaufhäusern nicht zu reden.
So gesehen, sind Kaufhof und Karstadt die letzten Dinosaurier. Deren Schicksal ist bekannt. Aber nach ihrem Aussterben hat sich die Welt
weitergedreht und so wird es auch in Zukunft deutsche Innenstädte ge­ ben. Stadtplaner, Quartiersmanager und Geschäftsleute werden sich aber etwas einfallen lassen müssen, um die Menschen dorthin zu locken.
Viel lieber als auf der Mönckebergstraße gehe ich in Lüneburg einkaufen. Dort gibt es auch ein Karstadt: Ein gruseliges Haus, das aber nach aktu­ ellem Stand offen bleiben kann. Für den Reiz der Innenstadt spielt es kei­ ne Rolle. Aber Lüneburg ist voll mit inhabergeführten Fachgeschäften, in denen man wunderbar stöbern kann und ganz sicher etwas findet, auch wenn man es nicht unbedingt gesucht hat. Mein Favorit: Oskar Mundinus (Haushaltswaren, Elektrokleingeräte, Eisenwaren, Geschenkartikel etc.). Hinzu kommt ein sehr guter Wochenmarkt und jede Menge Gastronomie. Natürlich gibt es hier auch Douglas, Esprit und Handyläden. Aber die Stadt hat viel mehr zu bieten als die ewig gleichen Ketten, die etwa auch die Hamburger City bestimmen.
Ist das für junge Leute – die Kunden der Zukunft – interessant? Zu­ mindest trifft man viele von ihnen. Lüneburg ist Studentenstadt. Die Auf­ enthaltsqualität ist hoch. Die Voraussetzungen, die angenehmen Seiten des Einkaufens vor Ort kennen zu lernen, sind gut.
Aber wenn ich ehrlich bin: Lüneburg ist schön nach meinen Maßstäben. Mein geliebter Oskar Mundinus ist auch ein Dinosaurier. Die Zukunft ei­ nes florierenden stationären Handels und belebter Innenstädte ist das nicht – ich habe sie noch nirgends gesehen.
❱❱ thomas.pfnorr@snfachpresse.de
     Die Schlussbemerkung ist eine Kolumne von
Thomas Pfnorr, der das Thema gerne mit Ihnen diskutiert. thomas.pfnorr@snfachpresse.de
Foto: Jochen Sievert/pixelio.de




















































































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